Gestalttherapie
Die vier zentralen Methoden der Gestalttherapie
Dialogisch
Eine Technik kann nur eine Form sein, in der die authentische, persönliche Antwort des Therapeuten auf die momentane Situation seines Klienten ihren Ausdruck findet. Da sich der Therapeut selbst als partnerschaftlichen Begleiter (und nicht als Produzent der Veränderung seines Klienten) sieht, werden die Techniken mit dem Klienten zusammen entwickelt oder diesem als Angebot und Vorschlag unterbreitet. Außerdem machen die Therapeuten transparent, was sie mit einer bestimmten Technik erreichen wollen, sie reflektieren die Techniken gemeinsam mit dem Klienten und verändern die Techniken gegebenenfalls oder ziehen sie sogar zurück.
Feldtheoretisch
Der Mensch befindet sich in einem kontinuierlichen Austausch mit seiner Umwelt in Form einer ständigen wechselseitigen Anpassung. Er kann nicht ohne sein jeweiliges Feld gedacht und verstanden werden, dessen Teil er ist. Gestalttherapeutische Techniken haben die Aufgabe, den Klienten dabei zu unterstützen, seine Anpassungsprozesse an sein jeweiliges (Um)- „Feld“ bzw. seine Anpassungen des Umfelds an seine eigenen Bedürfnisse zu erforschen, indem sie ihm helfen, seinen Blickwinkel immer wieder zu wechseln. Sie fördern die Bewusstwerdung automatisierter Verhaltensmuster, um den Klienten in die Lage zu versetzen, sich bewusst für oder gegen eine bestimmte Verhaltensweise zu entscheiden, und gegebenenfalls zu untersuchen, welche Art von innerer Unterstützung, welche inneren oder äußeren Ressourcen er dafür benötigt, und wie er sie erhalten/lernen etc. kann.
Phänomenologisch
In der Gestalttherapie gilt es für den Therapeuten, alle Vorannahmen, Vermutungen und Erwartungen über den Gegenstand der Untersuchung zurückzustellen, um sich unvoreingenommen und mit offenen Sinnen der Erfahrung stellen zu können. Wahrnehmung und Beschreibung des offensichtlich Wahrnehmbaren geht vor Interpretation oder Spekulation. Gleichzeitig regen die Gestalttherapeuten auch ihre Klienten auf die eine oder andere Weise immer wieder zum aufmerksamen und möglichst ganzheitlichen Wahrnehmen und Erleben sowie zur Beschreibung der von Moment zu Moment ablaufenden Prozesse an. Dieser Strategie liegt die Erfahrung zugrunde, dass Bewusstheit (Achtsamkeit) per se heilsam sein kann.
Existentialistisch
Gestalttherapie als existentialistische Methode: Menschen sind – aus gestalttherapeutischer Sicht – verantwortlich dafür, wie sie die Welt sehen (ihre Bedeutungszuschreibungen) und wie sie darauf reagieren, wie sie handeln (ihre Lebensführung), selbst wenn sie sie so sehen, als hätten sie keine Verantwortung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein Mensch für alles verantwortlich ist oder sein könnte. Ein großer Teil seines Umfelds ist durch ihn kaum oder gar nicht beeinflussbar. Verantwortung stellt hier keine moralische Kategorie da, sondern weist lediglich daraufhin, dass wir, ob wir wollen oder nicht, auf die „Forderungen“ des Feldes antworten müssen, und dass unsere Antworten, unsere Entscheidungen und Handlungen Konsequenzen haben, für die wir „verantwortlich“ sind.[14]Diese Verantwortlichkeit ist aus gestalttherapeutischer Sicht eine existentielle Tatsache.
Beispiel: Der „leere Stuhl“
Eine besonders bekannte Technik der Gestalttherapie stellt die Technik des „leeren Stuhls“ dar, bei deren Umsetzung ein sogenannter „leerer“, also unbesetzter Stuhl oder ein ähnliches Requisit Verwendung findet. Diese Technik kann vielfältig verwendet werden. Der leere Stuhl dient dabei als Projektionsfläche und Platzhalter für Bezugspersonen, die für den Klienten im Zusammenhang mit einem bestimmten Thema bedeutsam, aber abwesend sind, oder für einen Persönlichkeitsanteil des Klienten, oder ein Gefühl usw. Bei dieser „Phantasiegespräch-Technik“ wird der Klient aufgefordert, sich in seiner Phantasie vorzustellen, dass die abwesende Bezugsperson, oder das Gefühl etc. auf dem leeren Stuhl säße, um dann mit ihr/ihm einen Dialog zu entwickeln. Der leere Stuhl kann auch als räumliche Markierung für bestimmte Seiten der eigenen Person, mit denen sich der Klient beschäftigt, dienen. Dabei wird der Klient eingeladen, in einen laut ausgesprochenen Dialog einzutreten, wie er zwischen widersprüchlichen Seiten seines Selbst ohnehin schon in Gedanken stattfindet. Mit dem Wechsel von Rede und Gegenrede können die Therapeuten ihre Klienten dazu auffordern auch ihren äußeren Platz aktiv zu wechseln und sich jeweils auf den Stuhl zusetzen, auf dem die momentan aktive Seite situativ verankert ist.
Ausbildung
Die Ausbildung zum Gestalttherapeuten ist, wie bei den meisten Psychotherapieformen, über freie Institute organisiert, die sich zum Teil in Verbänden organisiert haben (siehe weiter unten: „Gestalttherapie-Verbände“), die Ausbildungsstandards vorgeben. Hierbei muss bedacht werden, dass es jedoch keine Notwendigkeit gibt, diese Standards auch umzusetzen, da der Begriff Gestalttherapeut selber nicht geschützt ist. Der Standard der DVG sieht einen Umfang von 1.450 Zeitstunden vor, die in einem Zeitraum von 3 bis 5 Jahren durchgeführt werden sollen, die wie folgt gegliedert sind:
- Selbsterfahrung – Gruppe 170 Zeitstunden
- Einzellehrtherapie – 80 Zeitstunden
- Theorie und Praxis – 375 Zeitstunden
- Theorie/Praxis-Seminare und Kongresse und kollegiales Tutorium – 275 Zeitstunden
- Supervision – 130 Zeitstunden
- Einzelsupervision – 20 Zeitstunden
- Behandlungspraxis – 400 Zeitstunden
Hiermit werden die Europäischen Standards der EAGT (European Association for Gestalt Therapy) erfüllt. Erst mit dieser Ausbildung kann ein Gestalttherapeut die Zusatzbezeichnung DVG führen. Die Gründe für die zurzeit geltenden Bestimmungen liegen letztlich auch in der anarchistischen Vergangenheit der ursprünglichen gestalttherapeutischen Bewegungen, die sich ja nicht zuletzt auch als Gegenbewegung zum damaligen psychoanalytischen Establishment gebildet hatten. Deshalb sind auch heute Institute, die nicht als Ausbildungsinstitute der DVG gelten, in der Ausbildung der Gestalttherapeuten tätig und allgemein anerkannt.